(Quelle: Frankfurter Neue Presse) 20.07.2018 Von MICHAEL FORST

Er wollte ein Tier aus großer Not retten – und sah sich auf einmal vier Polizeistreifenwagen gegenüber. Doch Aufgeben ist ein Wort, das im Vokabular des beherzten Teenagers Abel Tesfay aus Dreieichenhain nicht vorkommt.


Streicheleinheiten für Eichhörnchen-Kind „Beauty“: Wildtierhilfe-Leiterin Tanja Schäfer und Tier-Retter Abel Tesfay.

Entspannt zieht der kleine Erpel im Teich der Wildtierhilfe Schäfer auf dem Gelände des Tierheims in Dreieich seine Bahnen. Hier, in der Obhut von Tierschützerin Tanja Schäfer, wird der Wasservogel seit der vergangenen Woche liebevoll aufgepäppelt und kommt langsam wieder zu Kräften. Das Wichtigste: Sein Bürzel mitsamt der Schwungfedern wächst schon wieder nach – unbekannte Täter hatten es dem Erpel abgeschnitten und ihn damit flugunfähig gemacht.
„Er wäre mit Sicherheit gestorben“, sagt Tanja Schäfer, die derlei Tierquälereien aus ihrer täglichen Arbeit kennt – und doch immer wieder fassungslos darüber ist. Doch zum Glück gibt es auch andere Menschen – wie den 16-jährigen Abel Tesfay aus Dreieichenhain. Seines Zeichens Kerbeborsch, Feuerwehrmann und vor allem: Tierfreund mit großem Herz. Das Schnabeltier verdankt ihm sein Leben – und einer haarsträubenden Rettungsaktion.
Mit seinem Freund Jannik hatte er sich vergangene Woche wie so oft an der Winkelsmühle und dem angrenzenden Weiher getroffen. Als sein Freund einen Entenschwarm fütterte, fiel Abel das flugunfähige Tier sofort auf. „Er war der kleinste der Gruppe und wurde von den anderen ausgeschlossen“, erzählt er. Mit einem anderen Freund machte er sich anderntags an die Rettung.
Zwei junge Männer, die einer Ente hinterher rennen – das kam einer Anwohnerin verdächtig vor. Die besorgte Frau alarmierte die Polizei, die gleich mit vier Streifenwagen anrückte und den verdutzten Abel aufforderten, seine Personalien anzugeben. Der alarmierte seinerseits per Handy seinen Opa, einen pensionierten Polizisten, der die Sache mit seinen ehemaligen Kollegen schnell klärte. Immerhin nahmen die Beamten Abel das Versprechen ab, die Zeiten seiner nächsten Enten-Einfang-Aktion telefonisch zu melden.
Die startete er dann am nächsten Tag, diesmal mit seinem Freund Till, ausgestattet mit Kescher und Entenfutter. „Irgendwann hatte ich alles an die Enten verfüttert, ohne an das verletzte Tier zu kommen“, berichtet er. „Also musste ich in den Teich, um es zu kriegen.“ Dort stand Abel das trübe Teichwasser buchstäblich bis zum Hals. Fünf Spaziergänger spannte er kurzerhand als Helfer ein, die das Ufer bewachten. Als der ängstlichen Erpel untertauchte, tauchte Abel hinterher, schnappte das Tier unter Wasser – und brachte es zu Tanja Schäfer.
„Unser Glück ist, dass die Enten im August in die Mauser kommen“, berichtet die engagierte Frau, die seit Anfang des Jahres ihren Dienst auf dem Gelände des Tierheims aufgenommen hat – und bei der seither 800 notleidende Tiere Aufnahme fanden. Dennoch, schätzt sie, müsse der Erpel bis zu zwölf Wochen hierbleiben, bevor sie ihn in die Freiheit entlassen kann.
Über den jungen Retter findet sie nur lobende Worte: „Abel hat nicht nur die Ambition, sondern auch das Interesse und das Wissen, um Tieren zu helfen.“ Das sei selten geworden. „Viele können heutzutage noch nicht einmal einen Spatz von einer Amsel unterscheiden“, weiß sie. „Und viele junge Leute spielen lieber mit einem Igel Fußball, als ihm ein Schälchen Wasser hinzustellen.“
Nicht so Abel, für den der Erpel nicht das erste Tier in Not ist, das er in Tanja Schäfers Pflege überführt hat. So rettete er schon einen ausgehungerten Igel, ein verletztes Mauswiesel und ein Entenküken mit gebrochenem Fuß.
Und was sagen seine Freunde zu seiner Tierliebe? „Der ein oder andere hält mich vielleicht für ein bisschen verrückt“, sagt er und fügt lächelnd hinzu: „Aber die Mädchen finden es toll“.